Heute bleiben viele Ex-Profis dem Fußball-Business erhalten – als Trainer, Manager, Berater. Früher war das häufig anders. Wir haben ehemalige Eintracht-Spieler gefragt, wie sie ihre Karriere nach der Karriere geplant haben. Unter anderem: Peter Reichel.
„Eigentlich bin ich der falsche Ansprechpartner“, meldet sich Peter Reichel am Telefon und lacht, wie er im Laufe des Gesprächs noch häufiger lachen wird. Reichel war Eintracht-Profi und Lehrer, zeitweise sogar gleichzeitig. Samstag spielte er Bundesliga, Montag ließ er eine Mathearbeit schreiben. „Es war ein permanentes Pendeln zwischen zwei Welten“, sagt er.
Heute kommen viele frühere Profis im Fußballgeschäft unter. Sie werden Trainer, Manager oder Berater. Damals – Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger – war das anders. Viele ehemalige Profifußballer mussten sich um ihr Berufsleben nach der Profikarriere bemühen. Wie ist ihnen das gelungen? Darum soll sich diese Geschichte drehen. Reichel hat sogar beides vereint: Fußball- und Berufsleben. Der falsche Ansprechpartner? Eher der perfekte!
Als 18-Jähriger kam der Abwehrspieler 1970 zur Eintracht – und unterschrieb direkt einen Vier-Jahres-Vertrag. „Das war zu der Zeit gerade für junge Spieler außergewöhnlich“, sagt Reichel. Aber die lange Vertragslaufzeit folgte einem simplen Kalkül: Reichel schrieb sich parallel an der Goethe-Universität in Frankfurt ein – Mathematik und Sport auf Lehramt. „Die Eintracht war damals richtig gut. Also habe ich mir gedacht: Wenn es hier nichts wird mit dem Profifußball, dann habe ich nach vier Jahren zumindest mein Studium in der Tasche.“
Morgens Schule, abends Europapokal
Es hat geklappt mit dem Profifußball. 276 Spiele absolvierte Reichel für die Eintracht. 225 in der Bundesliga, 34 im DFB- und 17 im Europapokal. In der ersten Saison spielte das Team noch gegen den Abstieg. „Das hat mich als junger Spieler enorm gefordert – und geformt“, sagt er mit einem Abstand von mehr als 50 Jahren. Dafür ging es danach steil bergauf: 1974 feierte die Eintracht ihren ersten DFB-Pokal-Sieg. Ein Jahr später wiederholte sie den Erfolg. Reichel war fast immer dabei. An der Seite namhafter Spieler wie den Weltmeistern Bernd Hölzenbein, Jürgen Grabowski oder Karl-Heinz Körbel war der Verteidiger gesetzt.
Aber er war auch ein Sonderling. Der Professor von der Außenlinie wurde er genannt. Sein Spitzname lautete: Oberstudienrat. Und das nicht ohne Grund. Vom ersten Tag an arbeitete Reichel an zwei Karrieren: Jener als Fußballprofi und jener als Lehrer. Morgens fuhr er an die Universität. „Die Mathematiker waren immer die Ersten auf dem Campus“, sagt er und lacht. Danach ging es zum Training an den Riederwald. Mittags zurück zur Uni, nachmittags wieder zum Training. Verpasste er eine Einheit, musste er sie bei den Amateuren nachholen.
„Die haben mir aber mal gezeigt, wo es langgeht“, sagt er: „Das war kein Zuckerschlecken.“
Seinen Trainer Dietrich Weise nennt er heute einen Glücksfall: „Er hat das alles unterstützt“, sagt Reichel. Selbst dann, wenn große Spiele anstanden. „Am 5. November 1975 vormittags vor dem Europapokalrückspiel gegen Atlético Madrid hatte ich eine Prüfungsstunde. Wiese sagte: ‚Du fährst morgens in die Schule, machst, was du zu machen hast und mittags sitzt du wieder am Mittagstisch.‘“ Gesagt, getan: Abends schoss er dann das Tor zum 1:0-Sieg.
Möllers Meister
Der Einsatz hat sich gelohnt – in zweierlei Hinsicht. Die erste Karriere, jene als Profifußballer, beendete Reichel 1979. Drei Jahre zuvor hatte er sein zweites Staatsexamen abgelegt. Es wurde der Beginn der zweiten Karriere. Dabei war es dem heute 72-Jährigen stets wichtig, das eine vom anderen zu trennen. Wie sollte er schließlich von der Klasse Höchstleistungen fordern, wenn er selbst am Wochenende in der Bundesliga gepatzt hatte? „Daher galt bei mir immer eine Regel“, erklärt er: „In der Schule wird nicht über Fußball gesprochen.“
So ganz losgelassen hat ihn der Fußball aber in der Schule nicht. Das wurde ihm bewusst, als Anfang der Achtziger ein junger Schüler vom Gymnasium in seine achte Realschulklasse versetzt wurde. Sein Name: Andreas Möller. „Ein Ausnahmefußballer“, sagt Reichel heute – und wusste das bereits, bevor Möller im Laufe seiner Karriere sämtliche Titel gewann, die es im Fußball zu gewinnen gibt. Angefangen beim Turnier der hessischen Schulmannschaften.
Dass er das so gut zu bewerten wusste, hat Reichel seiner Erfahrung zu verdanken, die er während seiner zwei Karrieren gemacht hat – als Fußballer und als Lehrer. „Natürlich ist es mir leicht gefallen, Werte wie Disziplin und Fair Play an die Schüler zu vermitteln. Ich habe schließlich selbst danach gelebt“, sagt der 72-Jährige, der seit zehn Jahren pensioniert ist. Eine Karriere im Fußball hätte er sich nach der aktiven Zeit übrigens nie vorstellen können, sagt er. Auch deshalb ist er für diese Geschichte genau der richtige Ansprechpartner.