Homosexualität – eines der letzten Tabus im Profifußball: Während viele Spielerinnen offen darüber sprechen, entscheiden sich Männer meist gegen ein Coming-out. In Europas Top-Ligen gibt es nur einen einzigen bekennend schwulen Fußballer. Wie sich das ändert – und wie Sport und Unternehmen auf dem Weg zu mehr Toleranz im Berufsalltag voneinander lernen können.
Der Pride Month Juni schafft in ganz Deutschland Aufmerksamkeit für Menschen, deren Sexualität nicht den klassischen Rollenbildern entspricht – ob lesbisch, schwul, transgender oder queer. Für Menschen wie Nationalspielerin Sara Doorsoun. Die Profifußballerin von Eintracht Frankfurt hat sich geoutet. In ihrer Familie erlebt sie viel Toleranz – dennoch hatte sie anfangs Hemmungen, offen mit ihrer Homosexualität
umzugehen.
Doorsouns Vater stammt aus dem Iran, ihre Mutter aus der Türkei. Als Vierjährige eifert sie ihrem älteren Bruder nach, der sie auf den Fußballplatz mitnimmt. „Unsere Eltern waren beide selbständig“, erzählt sie. „Deshalb mussten sie oft auch abends oder am Wochenende arbeiten. Ich habe damals viel Zeit auf dem Platz verbracht.“ Ihr Bruder weiß anfangs nicht wohin mit ihr – und stellt sie kurzerhand ins Tor. „Das fand ich immer langweilig. Schon damals wusste ich, dass ich auf dem Feld spielen wollte.“
Keine Steine im Weg
Ihr Talent bleibt nicht unentdeckt: Mit 16 Jahren geht Doorsoun auf ein Sportinternat und spielt bereits für die Jugend des DFB. Ihre Karriere beginnt die Kölnerin bei der SG Wattenscheid 09. Über Potsdam, Essen und Wolfsburg kommt sie 2022 zur Eintracht. Obwohl Frauenfußball im Kulturkreis ihrer Eltern keine Selbstverständlichkeit ist, hat die Abwehrspielerin immer die Unterstützung ihrer Familie: „Vor allem mein Papa war anfangs bei jedem Heimspiel – auch später in der Bundesliga hat er immer versucht, zu den Spielen zu kommen.“ Die größte Hilfe aber ist die Tatsache, dass ihr niemand Steine in den Weg legt. „Für mich war es immer selbstverständlich, dass ich trotz des kulturellen Hintergrunds meiner Eltern Fußball spiele. Aber heute ist mir klar, dass es das ganz und gar nicht war.“
Spätestens mit ihrem Debut für die A-Nationalmannschaft 2016 hat Doorsoun so gut wie alles erreicht, wovon Fußballerinnen träumen können. Sie wird Deutscher Meister, DFB-Pokal-Sieger und steht 2022 im Finale der Europameisterschaft. Privat liebt sie eine Frau – und innerhalb ihres beruflichen Kosmos hat sie durch ihre Homosexualität keine Probleme. Sie spricht gern von „ihrer Fußball-Bubble“: „Ich hatte nie vor, mich aktiv zu outen. Das war gar nicht nötig. Ich konnte immer ganz offen damit umgehen, dass ich
mit einer Frau zusammenlebe.“
Ute Neher, HR-Expertin und Principal Talent Intelligence bei Indeed, beobachtet eine zunehmende Offenheit: „In den letzten Jahren haben wir Fortschritte bei der gesellschaftlichen Akzeptanz von Homosexualität erzielt. Dennoch erfahren LGBTQI*-Menschen weiterhin Diskriminierung am Arbeitsplatz. Unternehmen müssen aktiv inklusivere Arbeitsumgebungen schaffen und Antidiskriminierungsrichtlinien umsetzen.“ Neher führt diese Fortschritte auf gesetzliche Regelungen wie die Eheöffnung 2017 und EU-Gleichstellungsinitiativen zurück. Sie bemerkt: „Der Profisport bildet oft eine Ausnahme, wobei Frauen hier in Bezug auf Gleichstellung den Männern voraus sind.“
Im Männerfußball kaum vorstellbar
„In unserer Gesellschaft wird Homosexualität zwischen Frauen oft als ästhetisch wahrgenommen“, sagt Profifußballerin Doorsoun. Sie höre tatsächlich häufig, dass lesbische Paare schön aussehen würden. „Deshalb ist das Umfeld bei uns Frauen vielleicht einfach sicherer und toleranter.“ Bei Männern sei das leider anders: „Hier herrschen viel häufiger veraltete Denkmuster und Rollenklischees vor. Insbesondere auf Social Media kommt es zu unfassbar vielen Anfeindungen“, berichtet sie: „Es ist so einfach, einen Kommentar mit beleidigenden Inhalten zu verfassen. Die Reichweite, die ein Outing im Männerfußball hätte, können wir uns kaum vorstellen.“
HR-Expertin Neher teilt diese Ansicht und bietet eine weitere Erklärung: „Der Männerfußball ist weiterhin
stark von Konkurrenz und Aggression geprägt. Denken Sie an die Szenen in den Fankurven mit Bengalos und Schmähgesängen, wie kürzlich beim DFB-Pokalfinale in Berlin. Solche Vorkommnisse sind bei Frauenspielen kaum vorstellbar.“
Zusätzlich spielen auch alte Denkmuster und Rollenbilder eine Rolle. Traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit und Sportlichkeit sind im Männerfußball tief verwurzelt und beeinflussen das Verhalten sowohl auf dem Spielfeld als auch auf den Tribünen. Diese Stereotype erschweren eine offene und inkludierende Atmosphäre. Umso glücklicher ist Eintracht-Profi Doorsoun, dass ihre Sexualität in ihrer Familie nie zu Differenzen geführt hat: „Ich habe mit meinen Geschwistern darüber gesprochen, dass
da jetzt einfach eine Frau in meinem Leben ist. Und ihre Reaktion war einfach nur unfassbar schön.“ Sie habe viel Liebe erfahren und sei von ihren größten Ängsten befreit worden. „Meine große Schwester fand es beispielsweise eher schlimm, dass ich erst so spät mit ihr darüber gesprochen habe. Sie hatte eher ein schlechtes Gewissen, dass ich mich ihr nicht früher anvertrauen konnte.“ Ihrem Vater gegenüber hat sie das Thema allerdings bis heute nicht angesprochen.
In der Dokumentation zur Frauen-Europameisterschaft 2022 „Born for this“ outet sich Sara Doorsoun vor rund zwei Jahren erstmals öffentlich. Die Menschen „außerhalb der Fußball-Bubble“, etwa auch ihre alten Schulfreundinnen, wissen bis dato nichts von ihrer Homosexualität. „Ich bin aber zu 99 Prozent sicher, dass auch mein Vater diesen Film gesehen hat“, erzählt sie weiter. Nachdem in der Dokumentation die Trennung von Saras damaliger Partnerin thematisiert wird, kommt auch ihr Vater auf sie zu: „Wir haben es nie explizit ausgesprochen. Aber er hat mich einmal gefragt, ob ich aktuell eine Trennung durchmache. Als ich das dann bejaht habe, hat er mich einfach nur ganz fest in den Arm
genommen. Diesen Moment werde ich niemals vergessen.“
Keine reine Privatsache
Ute Neher von Indeed betont die wichtige Rolle des Arbeitgebers bei der Unterstützung der sexuellen Identität der Mitarbeitenden. „Es mag zunächst wie eine Privatsache erscheinen“, sagt Neher, „aber vielen Menschen ist es wichtig, sich offen dazu zu bekennen, dass sie schwul, lesbisch oder queer sind.“ Wenn der familiäre Rückhalt fehlt oder das Thema dort schwer anzusprechen ist, wird das Coming-out am Arbeitsplatz umso bedeutender. Dies gibt den Menschen Sicherheit und schafft Vertrauen. „Da
Diskriminierung und Ausgrenzung auch am Arbeitsplatz noch immer vorkommen, bleibt Sexualität keine reine Privatsache“, erklärt sie.
Führungskräfte sollten aktiv Verständnis zeigen und ein offenes Ohr haben. Unternehmen sollten Netzwerke und interne Gleichstellungsbeauftragte für LGBTQIA+-Themen engagieren, um die Mitarbeitenden aktiv zu unterstützen. Solche Maßnahmen fördern die Einbindung und Akzeptanz der Mitarbeitenden, stärken das Zugehörigkeitsgefühl und erhöhen die Mitarbeiterzufriedenheit. Indem Unternehmen diese Initiativen ergreifen, schaffen sie nicht nur eine inkludierende Arbeitsumgebung, sondern steigern auch die Mitarbeiterbindung und Produktivität.
Erfolgreiche Konzepte von Unternehmen im Umgang mit dem Coming-out oder der Sexualität ihrer Mitarbeitenden können für den Fußball ein Beispiel sein – genauso wie viele Branchen mit Sicherheit von der Selbstverständlichkeit und der gelebten Toleranz besonders des Frauenfußballs in Sachen Homosexualität profitieren würden. Sara Doorsoun, Jahrgang 1991, hat mit den Olympischen Spielen in Paris ein großes Ziel vor Augen. Danach will sie noch zwei bis drei Jahre spielen, kann sich anschließend eine Karriere als Trainerin oder Spielerberaterin vorstellen. Für ihren Sport wünscht sie sich, dass in Zukunft neben Jakub Jankto von Cagliari Calcio auch in der Männerwelt mehr Fußballer den Mut haben, zu ihrer Sexualität zu stehen. „Denn von Toleranz und Offenheit kann der Fußball nur profitieren.“