Im Juni feiert die Welt die Vielfalt. Auch Unternehmen sehen sich im sogenannten Pride Month dazu verpflichtet, ein Zeichen zu setzen für Toleranz gegenüber queeren Menschen. Doch oft geht das Engagement nicht über ein in Regenbogenfarben strahlendes Firmenlogo in den sozialen Netzwerken oder einer entsprechenden gehissten Fahne am Unternehmenssitz hinaus. Im Interview mit Indeed Leadership Connect erzählt Magdalena Rogl, Leiterin Diversity und Inclusion bei Microsoft Deutschland, wo Unternehmen hierzulande beim Thema Pride wirklich stehen und wie insbesondere HR-Führungskräfte sich für mehr Vielfalt stark machen können.
Magdalena, als Pride Month steht der Juni für die Anliegen von lesbischen, schwulen und bisexuellen, trans* und queeren, intergeschlechtlichen und asexuellen Personen – aber auch für die Herausforderungen, denen diese Menschen immer wieder begegnen. Wo stehen wir aktuell bei der Akzeptanz von LGBTQIA+ in Deutschland?
Prinzipiell stehen wir gar nicht so schlecht da. In Deutschland hat sich die Akzeptanz von LGBTQIA+-Personen in den letzten Jahren deutlich verbessert, vor allem durch Gesetze wie die Ehe für alle. Gleichzeitig zeigen aktuelle Studien jedoch, dass Diskriminierungen von queeren Menschen im Alltag zunehmen. Wir haben also einerseits schon einiges erreicht, aber es gibt andererseits noch viel zu tun, bis wir echte Gleichberechtigung und Akzeptanz für alle geschafft haben.
Nicht nur im Alltag, auch im Job sehen sich queere Menschen mit Problemen konfrontiert. Braucht es hier noch mehr Aufklärung, und ist das überhaupt ein Thema für den Arbeitsplatz?
Das ist definitiv auch ein Thema für den Arbeitsplatz, vielleicht aktuell sogar eines der wichtigsten im Bereich LGBTQIA+. Viele Unternehmen und HR-Systeme haben noch immer keine Optionen für nichtbinäre oder trans* Menschen. Das fängt beim Mitarbeitendenprofil an und geht oft weiter bis hin zu Versicherungsthemen. Kulturell gesehen ist es wichtig, dass wir mehr über nonbinäre und trans* Personen lernen, auch im Arbeitsumfeld. Oft herrschen da starke Unsicherheiten, zum Beispiel, wie ein Mensch angesprochen werden soll. Mein Tipp: Einfach fragen, miteinander sprechen. Das klingt so banal, gilt aber aus meiner Sicht für alle Aspekte von Diversität. Wenn wir miteinander sprechen, können wir voneinander lernen.
Was sind aus deiner Sicht die größten Herausforderungen, denen die queere Community begegnet, am Arbeitsplatz und darüber hinaus?
Das sind fehlende Akzeptanz und leider auch oft Diskriminierung. Hinzu kommen Vorurteile und eine fehlende rechtliche Gleichstellung. Viele LGBTQIA+-Personen fühlen sich deshalb unsicher, sich so zeigen zu können, wie sie sind. Das führt dazu, dass sie viel Energie darauf verwenden müssen, eine Rolle zu spielen. Diese Energie fehlt dann im Alltag und natürlich auch im Job.
Dennoch wird sexuelle Vielfalt und sexuelle Identität in Betrieben häufig nicht von Führungsseite angesprochen. Wieso geht dieses Thema auch sie etwas an?
Gerade Führungskräfte haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass ihr Unternehmen zukunftsfähig ist, dazu gehört an erster Stelle die Verantwortung für ihre Mitarbeitenden. Eine inklusive Unternehmenskultur spielt dabei eine entscheidende Rolle. Wenn Menschen so sein können, wie sie sind, wenn sie wertgeschätzt werden, wenn sie sich nicht verstecken müssen, fühlen sie sich sicher und respektiert.
Du gehst offen mit deiner Bisexualität um. Wieso hast du dich entschieden, deine sexuelle Identität öffentlich zu machen?
Tatsächlich würde ich heute gar nicht mehr sagen, dass ich bisexuell bin, sondern eher das Wort „queer“ benutzen. Und ich glaube, dass das exemplarisch ist. Die Gesellschaft verlangt oft, dass wir uns labeln, dass wir uns einsortieren. Ich denke aber, genauso wie wir uns beruflich und persönlich verändern, kann sich eben auch verändern, wie wir lieben. Für mich war es wichtig, darüber zu sprechen, weil ich weiß, welche Bedeutung Vorbilder haben. Vor allem aber weiß ich, dass es ein großes Privileg ist, in einem Umfeld arbeiten zu können, in dem ich so sein kann, wie ich bin. Und genauso ist es aus meiner Sicht ein Privileg, Reichweite zu haben und gehört zu werden. Dieses Privileg will ich nutzen, um anderen Führungskräften, Mitarbeitenden und anderen Menschen zu zeigen, dass sie einen Unterschied machen können.
Du bist Diversity und Inclusion Lead bei Microsoft Deutschland. Welche Rolle spielen queere Themen in deiner Arbeit, fachlich und als Führungskraft?
Bevor ich die Rolle als D&I Lead übernommen habe, war ich vier Jahre im Vorstand unserer queeren Community bei Microsoft. Sexuelle Orientierung und sexuelle Identität sind ein wichtiger Aspekt von Diversität und dementsprechend ein fester Teil meines Arbeitsalltag. Für mich ist es aber wichtig, alle Aspekte, alle Dimensionen von Diversität immer intersektionell zu betrachten – also nicht einzeln, sondern immer in Verbindung mit anderen Bereichen. Kein Mensch ist nur ‚queer‘, sondern hat so viel mehr Aspekte. Für mich ist Empathie der Schlüssel: Wirklich zuhören und lernen.
Trotz allen Erklärungen von Toleranz und Vielfalt erleben LGBTQIA+ auch am Arbeitsplatz immer noch Diskriminierung. Wie sollten sich Führungskräfte verhalten, wenn sie von solchen Fällen erfahren?
Führungskräfte sollten sofort und entschieden handeln, wenn sie von Diskriminierung am Arbeitsplatz erfahren. Das bedeutet, den Vorfall ernst zu nehmen, gründlich zu untersuchen und angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Am wichtigsten ist es aber, dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst so weit kommt. Und dafür sind Aufklärung, Information, Allyship – eine inklusive und wertschätzende Unternehmenskultur – so relevant. Das muss vor allem von Führungskräften vorgelebt werden.
Hast du selbst Diskriminierung aufgrund deiner sexuellen Identität erlebt?
Ja, natürlich. Von verachtenden Kommentaren auf Social Media über anzügliche Sprüche im (Arbeits-)Alltag bis hin zu offener Gewaltandrohung. Aber es gibt so viele Menschen, die jeden Tag nicht nur diskriminiert, sondern auch offen angegriffen werden. Wir alle haben die Verantwortung, das zu ändern.
Welche Formen kann Diskriminierung annehmen?
Diskriminierung umfasst viel mehr als nur offene Beleidigungen. Sie kann auch subtilere Formen annehmen, wie Benachteiligung bei Beförderungen, ausgrenzende Kommentare oder das Ignorieren von Anliegen. Selbst unbewusste Vorurteile und Mikroaggressionen können eine belastende Form der Diskriminierung darstellen. Das macht es schwierig, Diskriminierung zu erkennen und zu benennen. Deshalb müssen wir unser Bewusstsein schärfen, unbewusste Vorurteile reflektieren und lernen.
Lass uns über die Folgen reden. Diskriminierung in jeder Form und der daraus resultierende psychische Druck ist eine große Belastung für queere Menschen. Die Folgen reichen von Depressionen bis zum Suizid. Wie können insbesondere HR-Führungskräfte aktiv werden, um das Leiden zu verringern?
Indem sie regelmäßige Schulungen zu psychischer Gesundheit und Diskriminierung anbieten. Sie sollten offen über Risiken sprechen und Ressourcen zur Unterstützung bereitstellen, wie etwa Beratungsangebote und Notfallkontakte. Es ist wichtig, eine Kultur des offenen Dialogs und der Unterstützung zu fördern, damit sich alle Mitarbeitenden sicher und gehört fühlen.
Was sind die Vorteile einer solch aufgeklärten und mental starken Arbeitskultur?
Sie fördert das Wohlbefinden und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Das führt zu höherer Motivation, Kreativität, Produktivität und Innovation. Außerdem sinken Krankheitsausfälle und die Fluktuation, Mitarbeitende fühlen sich wertgeschätzt und verbunden. Das ist gerade in der aktuellen Arbeitsmarktsituation besonders wichtig.
Wie schafft man diese Arbeitskultur, also ein Umfeld, in dem Beschäftigte sich trauen, über ihre Identität und damit verbundene Erfahrungen zu sprechen?
Unternehmen sollten aktiv Vielfalt und Inklusion fördern. Das bedeutet auch, dass wir alle offen über LGBTQIA+-Themen sprechen und sicherstellen, dass Mitarbeitende sich gehört und unterstützt fühlt. Das kann durch Schulungen, klare Richtlinien und die Bereitstellung von Ressourcen geschehen, damit alle Menschen sie selbst sein können, damit sie keine Energie darauf verwenden müssen, eine Rolle zu spielen.
Welche Hebel haben Führungskräfte hier in der Hand?
Allen voran die Vorbildfunktion, die Führungskräfte haben. Die Kolleg*innen in unserer Geschäftsführung teilen oft persönliche Erfahrungen, sei es in Bezug auf ihre eigene sexuelle Orientierung oder auch Herausforderungen in Sachen mentale Gesundheit.
Gibt es Warnzeichen für psychische Belastungen, auf die man achten kann?
Verhaltensänderungen, Rückzug, mindere Leistungsfähigkeit oder auch auffällige Stimmungsschwankungen. Wenn sich Mitarbeitende Sorgen um Kolleg*innen machen, sollten sie das Gespräch suchen und Hilfe anbieten. Zudem können sie Führungskräfte oder Vertrauenspersonen im Unternehmen informieren, damit diese professionelle Hilfe vermitteln. Das Team für betriebliches Gesundheitsmanagement hat bei uns vor einiger Zeit ein Projekt für „Mental Health First Aiders“ gestartet. Hier können sich Mitarbeitende zu mentalen Ersthelfenden ausbilden lassen.
Gerade Großkonzerne sehen sich oft mit dem Vorwurf des Rainbow-Washings konfrontiert, also mit der Vermutung, LGBTQIA+-Themen gar nicht ernsthaft zu fördern, sondern nur als Marketingstrategie zu nutzen. Regenbogenflaggen und bunt eingefärbte Firmenlogos auf Social Media. Ist das noch zeitgemäß?
Es ist wichtig, dass Unternehmen authentisch handeln und LGBTQIA+-Themen nicht nur als Marketinginstrument nutzen. Regenbogenflaggen und bunte Logos können ein sichtbares Zeichen der Unterstützung sein, aber es ist entscheidend, dass diese Zeichen von konkreten Maßnahmen begleitet werden, die die LGBTQIA+- Gemeinschaft wirklich unterstützen. Unternehmen sollten also nicht nur äußerlich Flagge zeigen, sondern vor allem auch intern für Vielfalt und Inklusion sorgen.
Wie können Unternehmen die Community tatsächlich unterstützen?
Es gibt im Diversity-Bereich den schönen Spruch „Nothing about us, without us“. Es geht also darum, nicht über Menschen aus der queeren Community zu sprechen, sondern mit ihnen. Oft gibt es in Unternehmen schon queere Communitys, die dabei helfen können, die Unternehmenskultur und -strategie so auszurichten, dass sie queere Themen unterstützt. Das ist kein Charityprojekt, sondern eine wichtige Investition in die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Denn Unternehmen, die sich nicht nachhaltig für Diversität und Inklusion einsetzen, sind weniger innovativ, weniger profitabel und werden weniger Talente für sich gewinnen können. Wir alle haben eine Verantwortung und können einen Unterschied machen – wie wir miteinander sprechen, wie wir miteinander umgehen, wie wir miteinander arbeiten.