Flexible Arbeitszeiten sind längst kein Privileg mehr von Selbständigen und Führungskräften. Schon 2010 hatten laut Statistischem Bundesamt fast 38 % der Arbeitnehmer*innen einen starken Einfluss auf den Beginn und das Ende der eigenen Arbeitszeit. Doch mit der Pandemie haben sich die Rahmenbedingungen und die Bedeutung von Gleitzeit verändert – ob mit Kernzeiten, Funktionszeiten oder ohne Einschränkungen, ob in Vollzeit oder Teilzeit. Auch Unternehmen, die diesen Schritt bisher gescheut haben, geraten nun unter Druck, ihn zu gehen. Was gilt es dabei zu beachten?

Die Pandemie hat Gleitzeit noch wichtiger gemacht

Die Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt in vielerlei Hinsicht umgekrempelt. Während der zeitweise bestehenden Homeoffice-Pflicht haben auch Arbeitgeber und Beschäftigte, die das zuvor scheuten, Heimarbeit eingeführt. Für viele hat sich damit einhergehend auch eine Lockerung der Arbeitszeiten ergeben. Das hat den Grad der Flexibilität, den Erwerbstätige heute von ihrem Arbeitsplatz erwarten – und viele Arbeitgeber bereit sind zu gewähren – auf ein neues Level katapultiert.

„Corona hat bewiesen: Flexible Arbeitszeiten und ortsungebundenes Arbeiten funktionieren“, urteilt EY Deutschland. In einer Umfrage des Wirtschaftsprüfungsunternehmens unter 1.000 Angestellten gaben zwar 86 % der Befragten an, dass sie weiterhin feste Arbeitszeiten „erwarten“, 30 % „wünschten“ sich aber „eine starke Flexibilisierung der Arbeitszeit“. Eine Rolle rückwärts komme daher nicht infrage.

Welche Gleitzeitmodelle gibt es?

Insbesondere im Dienstleistungssektor können viele Erwerbstätige ihre Bürozeiten und Termine in unterschiedlichem Maße frei wählen. Manche können arbeiten, wann sie wollen, oder müssen sich nur an Betriebszeiten halten, beispielsweise von 7:00 bis 21:00 Uhr. Vor allem Betriebe oder Abteilungen, die feste Geschäfts- oder Servicezeiten für Kunden haben, schränken die Gleitzeit zusätzlich durch Funktions- oder Kernzeiten ein. Dann besteht zum Beispiel an Werktagen eine Anwesenheitspflicht zwischen 10:00 und 12:00 Uhr und noch einmal von 14:00 bis 17:00 Uhr. Die restlichen Stunden können sich Angestellte nach Belieben einteilen. Dabei gelten Kernarbeitszeiten für das gesamte Unternehmen, Funktionszeiten nur für einzelne Abteilungen.

Bei Teilzeitstellen kann es etwas komplizierter werden. Arbeitet eine Teilzeitkraft volle Tage, gelten die gleichen Funktions- und Kernzeiten wie für die Vollzeitkräfte in derselben Position. Andere Regeln müssen gefunden werden, wenn eine Person – etwa aus familiären Gründen – nur vormittags arbeiten kann.

Flexible Arbeit ist zum wichtigen Arbeitgeber-Asset geworden

Heute kommen Unternehmen kaum noch umhin, zumindest Teilen der Belegschaft Gleitzeitregelungen anzubieten: Erwerbstätige fordern das zunehmend ein, und der Fachkräftemangel, der sich längst nicht mehr auf Absolventen von Elite-Universitäten beschränkt, stärkt ihre Verhandlungsposition. Der Druck könnte noch steigen: Bei der HDI Berufe-Studie 2022 gaben fast 50 % der Vollzeitbeschäftigten an, zur Teilzeit wechseln zu wollen.

Selbst da, wo es genug Fachkräfte gibt, können Gleitzeitmodelle und Homeoffice-Angebote helfen, die besten Talente zu gewinnen, insbesondere wenn die Bewerber*innen einen modernen Lebensentwurf wie Work-Life-Integration anstreben.

Wie wichtig es für Arbeitgeber ist, auf solche Bedürfnisse einzugehen, erklärte Priscilla Koranteng, Chief People Officer bei Indeed, bei der Indeed-Konferenz FutureWorks 2022 so: „90 % der Menschen messen Zufriedenheit auf der Arbeit eine sehr hohe Bedeutung zu. Daher ist Wohlbefinden am Arbeitsplatz genauso wichtig wie Umsatz und Gewinn.“ 

Höhe des Drucks hängt von Branche und Berufsgruppe ab

Viele Unternehmen haben die Herausforderung der Homeoffice-Pflicht während der Pandemie angenommen, gemeistert und weitgehend beibehalten. Andere haben sie zumindest teilweise wieder zurückgenommen. Sie müssen einen Weg finden, damit umzugehen, wenn sich ihre Belegschaft dagegen sträubt, wieder „nine to five“ im Büro zu sitzen. Die größten Fachkräftelücken klaffen nach Erkenntnissen des IW Köln in Berufen, in denen die Arbeitszeiten nur bedingt flexibilisiert werden können, etwa in Kinderbetreuung und Pflege. Doch auch Handwerks- und Informatikberufe sind unter den Top Ten.

Wie groß der Druck auf Arbeitgeber ist, die Arbeit zu flexibilisieren, hängt teils von der Branche, teils von der Berufsgruppe ab. Handwerker*innen etwa arbeiten in fast jedem Betrieb zu den üblichen Zeiten von 7:00 bis 16:00 Uhr. Umso größere Vorteile kann es auf dem Arbeitsmarkt bringen, Fachkräften und potenziellen Auszubildenden flexiblere Angebote zu machen.

Auch bei anderen Dienstleistern wie Banken und Versicherungen hängen Arbeitszeiten von den Servicezeiten ab und sind eher berufs- als arbeitgeberbedingt. Das bedeutet aber nicht, dass es eine Kernzeit für die komplette Belegschaft geben muss. Gegebenenfalls genügt es sogar, wenn sich beispielsweise Teams aus Sachbearbeiter*innen und IT-Expert*innen wochenweise in den Funktionszeiten für den Kundenservice abwechseln, sodass sie ihre Arbeitszeiten in jeder zweiten Woche freier wählen können. Produktentwickler dagegen – egal, ob Kaufleute oder Informatiker*innen – müssen ihre Arbeitszeiten vor allem untereinander abstimmen. Sie könnten von der Anwesenheitspflicht ganz ausgenommen werden.

Juristische und andere Fallstricke

Arbeitsrechtlich ist zu beachten: Gibt es einen Betriebsrat im Unternehmen, kann das Management nicht einseitig über Gleitzeitmodelle entscheiden. Laut § 87 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz hat der Betriebsrat ein weitreichendes Mitbestimmungsrecht bei der Arbeitszeit, sofern sie nicht ohnehin tariflich geregelt ist. Doch auch ohne gesetzliche Pflicht kann es sich lohnen, die Belegschaft oder einzelne Vertretungen in solche Entscheidungen einzubeziehen.

Zum einen wissen Angestellte oft selbst am besten, welche Regelungen sinnvoll und praktikabel sind. Zum anderen gibt die Rücksprache Vorgesetzten ein gutes Argument, um auch skeptische Geister von den positiven Seiten der Veränderung zu überzeugen. Je größer das Unternehmen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass nicht alle Beschäftigten eine Flexibilisierung der Arbeitszeit begrüßen, schließlich kann dies alte Gewohnheiten und vorübergehend auch Arbeitsabläufe stören.

Speziell wenn Neuregelungen nicht für alle gelten, kann die Akzeptanz ein Knackpunkt für das Betriebsklima sein. Eine gut abgestimmte Informationskampagne, die mit Empathie und Transparenz über Vorteile und Herausforderungen der Neuerung aufklärt, kann vielen Menschen helfen, Frust über etwaige Nachteile zu überwinden.

Ist Vertrauen besser als Kontrolle?

Skepsis gegenüber flexiblen Arbeitszeiten kann aber auch auf der Management-Ebene herrschen – erst recht in Kombination mit Homeoffice oder anderen Formen von Remote-Arbeit. Studien zeigen, dass viele Führungskräfte misstrauisch sind: Sitzen wirklich alle am PC oder doch vor dem Fernseher? Gleitzeitregelungen machen es nicht einfacher, sich Gewissheit zu verschaffen, weil niemand zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichbar sein muss.

Etwas einfacher ist das während der Funktions- und Kernzeiten, die im Homeoffice ebenso gelten wie im Büro. Doch so oder so sind die Kontrollmöglichkeiten sehr eingeschränkt. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht kürzlich festgestellt, dass Arbeitgeber sogar verpflichtet sind, die Arbeitszeit von Beschäftigten zu erfassen – egal, wo sie arbeiten. Dabei geht es jedoch um Anfangs- und Endzeitpunkt der Tätigkeit, nicht um das, was dazwischen geschieht.

Heikles Thema: Überwachung der Arbeitszeit

Technisch ist es möglich, etwa die Aktivitäten von Nutzerkonten auszuwerten. Eine Umfrage der Softwareberatungsfirma Capterra unter 708 Angestellten deutscher Unternehmen zeigt, dass solche Maßnahmen durchaus gängig sind. Immerhin 23 % der Befragten gaben an, überwacht zu werden.

Zulässig sei das aber nur, wenn die Überwachung den gesetzlichen Vorschriften entspricht oder die Arbeitnehmer*innen dem zugestimmt haben, schreibt die Anwaltskanzlei „rightmart“. Denn zum einen werden dabei Daten „für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses“ im Sinne von § 26 Bundesdatenschutzgesetzes verarbeitet. Zum anderen gelte Überwachung schnell als Eingriff in die Persönlichkeitsrechte im Sinne des Grundgesetzes, heißt es auf haufe.de: „Ein solcher Grundrechtseingriff muss daher immer verhältnismäßig sein.“

Die Verhältnismäßigkeit ist auch wichtig für die Akzeptanz von Überwachungsmaßnahmen: In Funktions- und Kernzeiten ist Anwesenheit oft essentiell für die Kundenbeziehungen. Wer dann nicht erreichbar ist, verhält sich potenziell geschäftsschädigend. Dass wiederholte Verstöße arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung rechtfertigen können, ist daher nachvollziehbar. Herrscht jedoch keine Anwesenheitspflicht, sollten Arbeitgeber Vertrauen zeigen und sich darauf konzentrieren, was am Ende entscheidend ist: Dass die Ergebnisse stimmen.