Viele Branchen klagen über Fachkräftemangel. Und es gibt viele Branchen, die händeringend IT-Mitarbeiter*innen finden möchten. Softwareentwicklung, Web-Programmierung, Datenwissenschaften – der Mangel an IT-Fachkräften hat einen neuen Höchststand erreicht. Und die Studierendenzahlen deuten nicht auf eine zeitnahe Entspannung hin. Um die wenigen verfügbaren IT-Expert*innen zu gewinnen, müssen Arbeitgeber sich einiges einfallen lassen. In diesem Artikel geht es um die Frage, warum das so ist und wie Unternehmen ihre Chancen erhöhen können, passende Tech-Talente einzustellen.
Warum ist es so schwierig, IT-Mitarbeitende zu finden?
Im August 2022 konstatierten Forschende des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in einem Kurzbericht zu den Berufen mit dem größten Fachkräftemangel, dass „in der Informatik anteilig die meisten Stellen nicht besetzt werden“ konnten, „für neun von zehn offenen Stellen gab es zuletzt bundesweit keine passend qualifizierten Arbeitslosen.“
In absoluten Zahlen: Ende 2022 waren laut einem Bericht des deutschen IT-Branchenverbands Bitkom branchenübergreifend 137.000 IT-Stellen unbesetzt. Die neue Rekordmarke lag mehr als 10 % über der bisherigen von Ende 2019.
Zu Beginn der Coronakrise war diese Zahl in den fünfstelligen Bereich gefallen. Damals waren die Arbeitslosenzahlen sogar überproportional gestiegen. Ab Mitte 2021 kehrte sich der Arbeitsmarkttrend um und der Fachkräftemangel insgesamt war stärker zurück als vor der Krise.
Dass nicht alle IT-Berufe gleichermaßen diesem Trend unterliegen, zeigt ein Befund in der Arbeitsmarktanalyse von März 2023 von Indeed-Economist Annina Hering: Im Februar 2023 gab es auf Indeed 20 % weniger Stellenausschreibungen für die Softwareentwicklung ein Jahr zuvor. Auch die Jobangebote im Bereich IT-Support und -Infrastruktur gingen im selben Zeitraum um 8,5 % zurück. Dennoch rangierten beide Berufsgruppen Anfang dieses Jahres unter den Top Ten der meistgesuchten Fachkräfte.
Dementsprechend blicken die Unternehmen laut Bitkom mit wenig Zuversicht in die Zukunft: 74 % der 854 befragten Unternehmen mit drei oder mehr Beschäftigten sehen einen bestehenden IT-Fachkräftemangel und 70 % rechnen mit einer weiteren Verschärfung der Situation.
Was macht der Informatiknachwuchs?
Im Jahr 2021 gehörte der Ausbildungsberuf Fachinformatiker*in laut Statistischem Bundesamt mit 15.800 neuen Azubis zu den beliebtesten Deutschlands. An deutschen Hochschulen wurden in 15.791 erfolgreichen Prüfungen mehr Abschlüsse im Fach Informatik erzielt als je zuvor. Und auch der Branchenverband Bitkom markierte 2021 ein Allzeithoch von 32.125 Studienabschlüssen in der gesamten Fächergruppe Informatik, zu der beispielsweise auch Computer- und Kommunikationstechniken gehören.
Dennoch wird aus Deutschland kaum genug Tech-Nachwuchs kommen, um kurz- oder mittelfristig alle offenen Stellen zu besetzen. Nicht nur, weil die junge Bevölkerung schrumpft. Trotz der guten Jobaussichten konnten sich laut Bitkom zuletzt nur noch 72.075 junge Leute dazu entschließen, einen Informatikstudiengang zu wählen. Zuletzt hatten sich im Jahr 2015 weniger Personen für eines der IT-Fächer eingeschrieben. Was die Statistik auch zeigt: Etwa die Hälfte der eingeschriebenen Personen bricht ihr Studium früher oder später ab.
In einer Arbeitsmarktprognose für das Jahr 2026 schreibt das IW: „Viel mehr Softwareentwickler (sic!) – aber immer noch zu wenig“; ihre Zahl werde zwar um 50 % steigen, jedoch die Fachkräftelücke im selben Maße.
Woher könnten IT-Talente künftig kommen?
Der Branchenverband fordert angesichts des Fachkräftemangels, mehr IT-Expert*innen aus anderen Ländern wie der Ukraine sowie – nach einer Sicherheitsprüfung – Russland und Belarus nach Deutschland zu holen. Bitkom schätzt, dass mit Talenten allein aus den beiden letztgenannten Ländern 59.000 IT-Stellen zu besetzen wären. Rund ein Drittel der befragten Unternehmen sei auch dazu bereit. Etwa jedes zehnte sei bei dem Versuch an bürokratischen Hürden gescheitert.
Der HR-Dienstleister G-P Meridian schlägt vor, dem Fachkräftemangel allgemein durch globales Recruiting entgegenzuwirken. Gemeint ist damit nicht, dass die Menschen nach Deutschland geholt werden, sondern von ihren Heimat- oder Wohnländern aus für hiesige Unternehmen arbeiten sollen. Dadurch könnten Unternehmen von den Vorteilen einer diversen Belegschaft profitieren, ohne die bürokratischen Hürden der Migration überwinden und Beschäftigte aus ihrem sozialen Kontext reißen zu müssen.
Mehr zum Thema: So können Arbeitgeber ukrainische Geflüchtete unterstützen
Wie erhöhen Arbeitgeber ihre Chancen für das Recruiting von IT-Talenten?
Klassische Stellenanzeigen und Initiativbewerbungen sind weiterhin am beliebtesten, aber keineswegs die einzigen Möglichkeiten für die Personalsuche. Wenn es um IT-Stellen geht, waren Unternehmen laut Bitkom-Umfrage in den Jahren 2021 und 2022 mit vielfältigen Methoden erfolgreich. Dazu gehören:
- Initiativbewerbungen: 97 % (2021: 97 %)
- Stellenausschreibungen: 93 % (2021: 92 %)
- Übernahme aus dem Praktikum: 61 % (2021: 42 %)
- Karrieremessen: 31 % (2021: 24 %)
- Headhunting: 22 % (2021: 14 %)
- Active Sourcing: 21 % (2021: 12 %)
- Übernahme aus Freelance- oder Projektmitarbeit: 12 % (2021: 10 %)
- Übernahme aus Bootcamp oder Crashkurs digitale Kompetenz: 1 % (2021: keine)
Die Umfrage zeigt, dass mittlerweile mehr Unternehmen aktiver nach Tech-Talenten suchen. Solche Maßnahmen entspannen zwar den IT-Arbeitsmarkt nicht als Ganzes, aber Informatiker*innen landen tendenziell dort, wo sie am dringendsten benötigt werden. Dies gilt zumindest unter der Annahme, dass für Unternehmen, die am aktivsten suchen, am meisten auf dem Spiel steht.
Grundsätzlich gelten bei der Suche nach IT-Expert*innen die gleichen Recruitingtipps wie bei anderen Fachkräften. Es lohnt sich jedoch, einige Möglichkeiten im Detail zu betrachten.
Karriere- und Absolventenmessen
Solche Events sind eine gute Gelegenheit, von vorneherein persönlich mit Talenten in Kontakt zu treten. Neben allgemeinen Karriere- und Absolventenmessen gibt es aber auch branchenspezifische Veranstaltungen, unter anderem Recruitingveranstaltungen für Fachkräfte im IT-Bereich. Es gibt auch einige Karrieremessen, die nur online stattfinden, wie etwa TechTalents.
Headhunting
Auch bei der Direktsuche gibt es Agenturen und Vermittler, die sich auf die Suche von IT-Fachkräften spezialisiert haben.
Soziale Medien
Die Nutzung von Social-Media-Recruiting nimmt rasant zu. Hierüber können Unternehmen dank der Algorithmen der Plattformen ihr Employer Branding und kreative Stellenanzeigen an ausgewählte Zielgruppen herantragen.
Mehr zum Thema: Erreichen Sie Ihre Recruitingziele mit zielorientierten Kampagnen
Active Sourcing
Beim Active Sourcing suchen Arbeitgeber gezielt nach Wunschkandidat*innen, um sie anzuwerben und gegebenenfalls aus ihrem aktuellen Job abzuwerben. Solche Talente finden sich nicht unbedingt in den Datenbanken von Jobportalen wie Indeed. Und sie sind auch nicht die ersten, die auf Job-Postings in sozialen Medien anspringen. Schließlich haben sie bereits eine Arbeitsstelle, mit der sie möglicherweise zufrieden sind.
Hier ist also Kreativität gefragt. Passionierte IT-Expert*innen sind mit Sicherheit in Programmiercommunitys wie proggen.org oder Foren von Fachmagazinen wie ComputerBase unterwegs.
Das könnte Sie auch interessieren: 7 Recruitingtipps: Mit diesen Maßnahmen finden Sie geeignete Mitarbeiter*innen
Wie lassen sich Top-Kandidat*innen überzeugen?
Nach Recherchen des Handelsblatts sind die Gehälter im IT-Bereich zwischen 2019 und 2022 stark gestiegen – je nach Jobbeschreibung um mehr als 50 %. Dabei lässt sich die Attraktivität einer Stelle durchaus nicht nur mit dem Gehalt steigern. Zumal einer wachsenden Zahl von Werktätigen berufliche Herausforderungen, persönliche Freiräume und Work-Life-Integration zunehmend wichtig sind.
Kreative Arbeitsinhalte
Gängige Klischees von „Computer-Nerds“ lassen dies häufig vergessen: Software-Engineering kann ein schöpferischer Prozess sein und viele IT-Expert*innen werden durch Kreativität motiviert. Wie sollten sie sonst innovative Softwarelösungen oder Computerspiele, neue Datenanalysetools oder KI-Anwendungen entwickeln? Dementsprechend wünschen sich viele Tech-Talente Freiraum für schöpferische Prozesse und Projekte, in die sie ihre Ideen einbringen können. Arbeitgeber, die das bieten, könnten nicht nur von erfolgreichen Stellenbesetzungen, sondern auch der Kreativität der neuen Angestellten profitieren.
Flexible Arbeitszeiten
In vielen Branchen sind flexible Arbeitszeiten fast schon Standard. IT-Jobs haben in diesem Sinne einen Vorteil, da viele Phasen der Softwareprogrammierung oder Datenanalyse ohnehin nicht unbedingt als Teamarbeit erfolgen.
Wenn das Unternehmen zu bestimmten Tageszeiten für Kunden erreichbar sein muss, lässt sich immer noch ein Gleitzeitmodell mit Kernzeiten vereinbaren. Mitarbeitende in anderen Zeitzonen könnten die Erreichbarkeit über eigene Kernzeiten sogar ergänzen, ohne dass dafür Nachtschichten nötig wären.
Flexibler Arbeitsort
Wenige Mitarbeitende wissen vermutlich besser, wie sich eine sichere Datenverbindung zu den Firmenservern herstellen lässt als die der IT-Abteilung. Kaum überraschend also, dass solche Berufe zu denen mit der höchsten Homeoffice-Quote gehören, wie Auswertungen von Indeed und des Statistischen Bundesamtes zeigen.
Natürlich gibt es verschiedene Gründe, aus denen die Anwesenheit von Teammitgliedern erforderlich sein kann. Doch mittlerweile ist es in vielen Bereichen gang und gäbe, sogar Kreativmeetings online abzuhalten.
Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, ist insofern schon fast ein Muss. Wer in Job-Verhandlungen ein besonders gutes Argument zur Hand haben möchte, stellt den Ort der Arbeit frei. Für eine globale Personalbesetzung wäre dies ohnehin eine Voraussetzung.Mehr zum Thema: Remote arbeiten: 6 Tipps für die Zusammenarbeit