Was bedeutet Open Hiring?
Heutzutage sind die meisten Personalauswahlverfahren langwierig: Zuerst verfassen die Personalverantwortlichen eine Stellenanzeige und lesen sich daraufhin eine Vielzahl an Lebensläufen durch. Sie beratschlagen, wer zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden sollte. Im weiteren Verlauf führen sie ein oder mehrere Gespräche mit den Kandidat*innen, um sich danach wieder zu beraten, Referenzen zu überprüfen, Absagen zu verfassen oder weitere Gespräche oder Eignungstests durchzuführen.
Open Hiring steht im starken Kontrast zu herkömmlichen Auswahlmethoden, da es komplett auf das Bewerbungsverfahren verzichtet. Sie beschreiben die Anforderungen, die Ihre Kandidat*innen mitbringen sollen, und warten auf interessierte Bewerber*innen. Danach führen Sie, wenn überhaupt, nur kurze Checks durch: Sollten Ihre Angestellten beispielsweise Autofahren müssen, können Sie den Führerschein verlangen. In vielen Unternehmen, die Open Hiring anwenden, werden gar keine Fragen gestellt.
Woher kommt Open Hiring?
Das Konzept stammt aus den USA, wo Open Hiring ursprünglich aufgrund einer sozialen Initiative entstand. 1982 gründete Bernard Glassman die Bäckerei Greyston Bakery in Yonkers, einer Stadt mit einer überdurchschnittlich hohen Obdachlosenquote. Da er keine Bewerber*innen diskriminieren und gegen die Obdachlosigkeit vorgehen wollte, verkündete Glassman, dass sich Interessierte in einer Liste eintragen sollten und ohne Auswahlverfahren einen Job bekommen würden. Bis heute stellt die Greyston Bäckerei ihre Angestellten über eine Liste ein. Sollte keine Stelle frei sein, können sich Interessent*innen auf der Warteliste eintragen. Sobald eine Stelle frei wird, bekommt die nächste Person auf der Warteliste sofort den Job. Auf diese Weise konnten selbst die Menschen Arbeit finden, die in anderen Unternehmen abgewiesen worden waren. Open Hiring hat hier viel bewirkt: Ungeachtet ihrer Vorgeschichte bekommen alle Bewerber*innen eine Chance.
Der Geschäftsführer Joseph Kenner behauptete in einem Interview, dass es in der Greyston Bakery nicht mehr Probleme mit dem Personal gäbe als in anderen Unternehmen. Abgesehen von ihrem unkonventionellen Einstellungsverfahren versuchen sie jedoch auch, ihre Mitarbeitenden, die bei der Arbeit fehlen, in schwierigen sozialen Umständen leben oder mit Drogenabhängigkeit kämpfen, zu unterstützen und sie nicht umgehend zu entlassen.
Wer bereits im Ausland gejobbt hat, weiß, dass Einstellungsverfahren in anderen Ländern wie in den USA oder Kanada schon seit jeher etwas unkomplizierter ablaufen als hierzulande. Wenn Sie sich zum Kellnern in Kanada bewerben, reicht es oft, den Lebenslauf in einem Lokal abzugeben und auf einen Anruf zu warten. Open Hiring geht jedoch noch einen Schritt weiter und verzichtet gänzlich darauf, den bisherigen Werdegang der Bewerber*innen unter die Lupe zu nehmen. Sie benötigen weder eine abgeschlossene Ausbildung noch ein Führungszeugnis.
Voraussetzungen für Open Hiring
Bei Open Hiring vertrauen Sie darauf, dass sich Bewerber*innen für Ihre Stelle melden, die sich auch tatsächlich für die Position interessieren bzw. über die notwendige Erfahrung und die erforderlichen Kompetenzen verfügen. Dafür ist es allerdings wichtig, dass Sie ein detailliertes Anforderungsprofil erstellen. Beschreiben Sie genau, welche Tätigkeiten Ihre Bewerber*innen in dieser Position künftig ausführen müssen. So können Sie das Risiko, dass sich Ihre zukünftigen Angestellten von den Aufgaben überfordert fühlen, etwas eingrenzen.
Branchen, die von Open Hiring profitieren können
Des Weiteren handelt es sich bei den Positionen, die Sie mit Open Hiring besetzen können, oft um Stellen, die wenig Erfahrung oder Fachwissen erfordern. Ausgeschlossen sind die meisten Führungspositionen und geschützte Berufe, wie beispielsweise Stellen im Bereich Medizin oder für Ingenieur*innen. Für die folgenden Branchen und Positionen könnte Open Hiring infrage kommen:
- Logistik: Lagerist*innen
- Transport: Fahrer*innen
- Gastrogewerbe: Servicekräfte, Küchenhilfen, Kellner*innen
- Baugewerbe: Bauarbeiter*innen
- Einzelhandel: Verkaufspersonal, Empfangspersonal, Reinigungskräfte
- Filmbranche: Statist*innen
Hier sind nur einige Beispiele angeführt, doch in vielen Branchen gibt es Stellen, die durch Open Hiring besetzt werden könnten.
High-Volume-Recruiting
Open Hiring bietet sich konkret in Situationen an, in denen Unternehmen eine große Anzahl an Mitarbeitenden benötigen. Wenn es bei einer neuen Standorteröffnung oder einer Neugründung plötzlich hunderte Stellen zu besetzen gibt, sind individuelle Bewerbungsgespräche schwierig. Ein hoher Bedarf an Mitarbeitenden kann Personalverantwortliche dazu veranlassen, den Bewerbungsprozess auf ein Minimum zu beschränken.
So funktioniert Open Hiring
Wenn Sie sich für diese Recruitingmethode entschieden haben, haben Sie mehrere Möglichkeiten, Ihre zukünftigen Angestellten auf den Job aufmerksam zu machen. Sie können in den sozialen Medien mit Ihrer Initiative werben. Darüber hinaus können Sie Ihre Stellenanzeigen in den üblichen Portalen schalten und mit einem Link versehen, der zu einem Online-Formular führt. Die Bewerber*innen können sich eintragen und Ihnen ihre Kontaktdaten zusenden. Dabei wird einzig und allein die Schnelligkeit belohnt: Wer zuerst kommt, hat den Job.
Natürlich ist das Einstellungsverfahren hier noch nicht zu Ende. Open Hiring erfordert ein intensives Onboarding. In den ersten Wochen müssen Sie sich darum kümmern, dass Ihre neuen Mitarbeitenden alle Abläufe kennenlernen und verstehen. Dafür können Sie einen umfangreichen Onboarding-Guide verfassen, oder in Trainingseinheiten investieren.
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Vorteile und Nachteile von Open Hiring
Open Hiring mag auf den ersten Blick etwas fremd oder radikal erscheinen, doch es wird immer öfter auch in Europa eingesetzt.
Das spricht dafür: Vorteile von Open Hiring
Seit einigen Jahren wird der Wunsch nach mehr Diversität am Arbeitsplatz lauter, und immer mehr Unternehmen setzen sich dafür ein, stoßen aber auch immer wieder auf dieselben Herausforderungen. Spätestens bei Vorstellungsgesprächen können Personalverantwortliche es kaum vermeiden, ihre persönlichen Präferenzen und Glaubenssätze bei der Entscheidungsfindung miteinfließen zu lassen, obwohl in Bewerbungsprozessen nur der berufliche Werdegang Thema sein darf. Open Hiring bietet die Möglichkeit, dass Sie weder mit der Herkunft noch dem Alter, Bildungsstand, Lebenssituation, oder dem Aussehen der Bewerber*innen konfrontiert werden. Daher können Sie tatsächlich allen Personen eine Chance geben, die sich bei Ihnen bewerben.
Das spricht dagegen: Nachteile von Open Hiring
Die Nachteile von Open Hiring liegen auf der Hand. Ohne jegliche Information über die Kandidat*innen, ohne Zeugnisse oder Referenzen und ohne persönliches Kennenlernen fällt es schwer, den Bewerber*innen zu vertrauen und ihnen die Türen zu Ihrem Unternehmen zu öffnen. Außerdem besteht die Gefahr, ungeeignete Kandidat*innen zu finden, die sich nicht erfolgreich einarbeiten oder rasch kündigen.
Ein weiterer Nachteil ist, dass Sie die ersten Monate damit verbringen müssen, Ihre neuen Angestellten anzutrainieren und auszubilden. Obwohl der Einstellungsprozess unkompliziert abläuft, kann der Onboarding-Prozess umso länger und umfangreicher sein. Da Sie keine allzu große Berufserfahrung einfordern, nehmen Sie in Kauf, dass Sie für das Training verantwortlich sind.
Open Hiring in Deutschland
Open Hiring ist deutschlandweit ein noch eher unbekanntes Phänomen, und doch könnte es gerade für die bereits erwähnten Branchen auch hierzulande neue Möglichkeiten eröffnen. An dem Beispiel der Gastronomie zeigt sich, dass der Personalmangel kontinuierlich zunimmt. Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage gilt es, schnell zu handeln, da sich die meisten Bewerber*innen gleichzeitig bei anderen Unternehmen bewerben. Es ist deshalb ratsam, Recruitingmaßnahmen mit möglichst geringem Zeitaufwand zu wählen.
In Deutschland wird viel dafür getan, Chancengleichheit auf dem Arbeitsplatz zu erreichen, Benachteiligungen und Diskriminierung sind nach Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) untersagt. Mit Open Hiring könnten Sie dazu beitragen, mehr Gleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen und ein positives Zeichen zu setzen.
Alternativen zu Open Hiring
Vielleicht sind auch Sie daran interessiert, Diskriminierung im Auswahlverfahren vorzubeugen und Diversität zu fördern, oder Sie benötigen eine zeitsparende Methode für die Personalauswahl. Dafür haben Sie noch mehr Möglichkeiten. Wenn der klassische Bewerbungsprozess zu langsam ist, Sie aber trotzdem ein Minimum an Kontrolle benötigen, finden Sie eventuell Ihre eigene Form, Open Hiring mit anderen Recruitingmaßnahmen zu mischen. Hier drei Ideen:
- Sie könnten Ihre Bewerber*innen ohne Bewerbungsprozess zu einem Probetag einladen. Auf diese Weise investieren Sie keine Zeit in Screening und Gespräche, und erleben direkt, wie die Person in Ihrem Unternehmen die Anforderungen meistert, ohne sie sofort einzustellen. Informieren Sie sich zunächst darüber, welche Aspekte es für Arbeitgeber*innen bei Probearbeiten zu beachten gibt.
- Sie können Open Hiring für die Personalbeschaffung anwenden, Ihre Kandidat*innen allerdings danach auffordern, sich einem Eignungstest unterziehen. So spielen einzig und allein die Fähigkeiten der Bewerber*innen eine Rolle, während Sie Herkunft, Alter, und auch dem Bildungsgrad keinerlei Beachtung zukommen lassen.
- Sie können Ihre Kandidat*innen mittels Open Hiring auswählen, aber trotzdem einige Leistungsnachweise einfordern. Wenn Sie beispielsweise jemanden benötigen, der Sprachkenntnisse mitbringt, können Sie nach einem entsprechenden Zertifikat fragen.
Im Grunde sind den Möglichkeiten für Einstellungsverfahren beinahe keine Grenzen gesetzt, sofern Sie alle rechtlichen Bestimmungen beachten. Obwohl sich Open Hiring vielleicht nicht für Ihre Ansprüche eignet, kann es als Inspiration dienen, die Personalauswahl mit anderen Augen zu betrachten und zu erwägen, dass Sie bei Ihrem nächsten Recruitingsprozess mehr Bewerber*innen eine Chance geben.
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